Demos
Warum demonstrieren und auf die Straße gehen?
Eine Vielzahl der Rechte und Privilegien, über die ein Großteil der Menschen in den Ländern des Globalen Nordens verfügt, resultieren unter anderem daraus, dass andere Menschen zuvor die Möglichkeit hatten, sich für diese (Rechte und Privilegien) einzusetzen und diese (Möglichkeiten) genutzt haben.
Einer dieser Wege war und ist der (friedliche) Protest in Form von Demonstrationen. Menschenrechte, Frauenrechte und Arbeitnehmer:innenrechte, die für uns heute normal erscheinen, wurden unter anderem "auf der Straße" erkämpft.
Auch heute noch kämpfen Menschen überall auf der Welt für ihre Rechte. Manche von ihnen bezahlen dafür mit dem Leben, andere werden gefoltert und/ oder bedroht. Repressalien wie diese müssen wir in Deutschland (im Moment) zum Glück nicht (mehr) fürchten, weshalb es für uns in Deutschland „einfacher“ und ungefährlicher ist, mittels Demonstrationen unsere Rechte einzufordern.
Aktuell befinden wir Menschen uns in einer besonderen Zeit, wobei Olaf Scholz diese in einer Rede als „Zeitenwende“ benennt. Neben den Herausforderungen der Coronapandemie, den verschiedenen kriegerischen Konflikten und deren Folgen, lassen sich auch die Klimakrise als ein Indikator dieser Zeitenwende nennen. Gerade bei der Klimakrise bekommt das Wort Zeitenwende eine ganz neue Bedeutung: Wenn wir es in der aktuellen Zeit, bzw. innerhalb der nächsten Jahre nicht schaffen, die Entwicklung der Klimakrise zu stoppen, dann werden nach Angaben des Weltklimarates verschiedene Kipppunkte erreicht, die dafür sorgen, dass die Klimakrise schneller und unaufhaltsamer voranschreitet .
Als Kipppunkte können das Schmelzen des antarktischen Eisschildes, die Vernichtung des Amazonas- Regenwaldes oder das Absterben tropischer Korallenriffe genannt werden. Bei einigen Kipppunkten werden bei deren Erreichung weitere Treibhausgase freigesetzt, welche ebenfalls zu einer Verstärkung der globalen Erwärmung beitragen. So zieht das Tauen der Permafrostböden beispielsweise die Freisetzung riesiger Mengen Methan und Kohlendioxids nach sich.
Der Erreichung dieser Kipppunkte gilt es also unbedingt entgegenzuwirken. Da dies nicht ausschließlich durch eine Verhaltensänderung auf der Individualebene erreicht werden kann, bedarf es strukturelle Veränderungen in den dort aufgezählten Sektoren.
Für diese Veränderungen braucht es neue Schwerpunksetzungen und veränderte Gesetze, die in unserem Rechtsstaat politisch erwirkt werden müssen.
Um diese Ziele zu erreichen, müssen Politiker:innen darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Bevölkerung (und damit den potenziellen Wähler:innen) das Thema Klimakrise und vor allem die Bekämpfung dieser wichtig ist. Und eben dafür eignen sich, wie in diesem Blogeintrag deutlich wurde, unter anderem die Durchführung von Protesten und Demonstrationen. Die Bürgerrechtlerin Rosa Parks soll einst gesagt haben: „die einzige Sache, die mich ärgert, ist, dass wir so lange mit dem Protest gewartet haben.“
Und falls du denkst, dieses "auf der Straße rumhopsen" würde nichts bringen: Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams haben in der Vergangenheit vielfach dazu beigetragen Regierungen zu stürzen, eine Veränderung von Verfassungen und Rechtsnormen zu erwirken und politischen Druck auszuüben. Auch die Tatsache, dass nach der ersten Welle von Protesten, Aktionen und Demonstrationen im Jahr 2019 eine Schwerpunktverschiebung auf die Themen Klimakrise und Bekämpfung dieser bei der Europawahl vollzogen wurde, kann als Indikator dafür fungieren, dass Proteste etwas bewirken.
Literaturverzeichnis
Berg, Kim (2019): Für Veränderungen demonstrieren. Deutschlandfunk. Online verfügbar unter https://www.deutschland.de/de/topic/politik/die-wichtigsten-protestbewegungen-in-deutschland, zuletzt geprüft am 04.01.2023.
Bund (Hg.) (2019): Europawahl 2019: Richtungswahl für den Klimaschutz – ein echter Aufbruch in ein nachhaltiges Europa ist möglich! 27. Mai 2019. Online verfügbar unter https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/europawahl-2019-richtungswahl-fuer-den-klimaschutz-ein-echter-aufbruch-in-ein-nachhaltiges-europa-ist-moeglich/, zuletzt geprüft am 04.01.2023.
IPCC (2022): Climate Change 2022. Mitigation of Climate Change. Online verfügbar unter https://report.ipcc.ch/ar6wg3/pdf/IPCC_AR6_WGIII_FinalDraft_FullReport.pdf, zuletzt geprüft am 21.08.2022.
Mücke, Peter (New York): Studie über Massenmobilisierung. Protest wird professioneller. ARD. Online verfügbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/studie-massenproteste-101.html, zuletzt geprüft am 04.01.2023.
Peteranderl, Sonja; Weber- Steinhaus. Fiona (2020): Erfolgreiche Proteste im Jahr 2020. Was Menschen weltweit erreicht haben. Hg. v. Der Spiegel. Online verfügbar unter https://www.spiegel.de/ausland/proteste-2020-was-menschen-weltweit-erreicht-haben-a-5dfde29b-2a79-493c-a756-60e9e3f270cd.
Potsdam Institut für Klimafolgenforschung: Kippelemente – Achillesfersen im Erdsystem. Potsdam. Online verfügbar unter https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/kippelemente/kippelemente?hset_language=de, zuletzt geprüft am 18.08.2022.
Scholz, Olaf (2022): Rede zur Zeitenwende. Die Bundesregierung. Berlin. Online verfügbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/992814/2131062/78d39dda6647d7f835bbe76713d30c31/bundeskanzler-olaf-scholz-reden-zur-zeitenwende-download-bpa-data.pdf?download=1, zuletzt geprüft am 04.01.2023.
Lützerath
Warum Lützerath "verteidigen?"
Lützerath war ein Dorf in Nordrhein- Westfalen, dessen Name erstmalig im Jahr 1168 urkundliche Erwähnung fand. Geografisch befand sich das Dorf im Gebiet des Braunkohle Tagebaus Garzweiler II. Seit 2020 versuchte RWE das Dorf abzubaggern, um die sich darunter befindende Kohle zu bergen und zum Zweck der Energiegewinnung zu verbrennen. Im Janauar 2023 war es dann soweit und trotz landesweiten Protesten wurde das Dorf vollständig zerstört. Zeitweise haben dort 105 Menschen gelebt.
Seit Ende des 2. Weltkriegs wurden in Ost- und Westdeutschland insgesamt 300 Ortschaften durch die Gewinnung von Braunkohle devastiert, mehr als 120.000 Menschen umgesiedelt und eine Fläche von 1.000 km² irreversibel zerstört. Die abgebaute Braunkohle wurde dabei vor allem für die Energiegewinnung genutzt, wobei der Anteil der durch Braunkohle erzeugten Energie im Jahr 2019 bei 9,1% lag und zu diesem Zweck 131 Tonnen Braunkohle allein in Deutschland abgebaut wurden.
Wo liegt das Problem?
Bei der Verarbeitung der Braunkohle entstehen pro Tonne Braunkohle eine CO² Äquivalente von ebenfalls einer Tonne. Die 131 Millionen Tonnen Braunkohle, die 2019 abgebaut wurden, verursachten also 131 Millionen Tonnen CO². Im gesamten Jahr 2019 wurden in Deutschland 805 Millionen Tonnen CO² Äquivalente ausgestoßen, wobei bei der Betrachtung deutlich wird, dass die Verarbeitung von Braunkohle für 16% der Emissionen in Deutschland verantwortlich war.
Nach Angaben des Sachverständigenrats für Umweltfragen dürfte Deutschland von 2022 an noch 6,1 Gigatonnen CO² ausstoßen, um das Ziel einer 1,75° Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% zu erreichen. Um das in Paris vereinbarte Ziel von 1,5° mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% zu erreichen, dürfen laut Sachverständigenrat nur noch 3,1 Gigatonnen CO² emittiert werden.
Die Zahlen machen deutlich, dass eine dringende Einsparung von CO² Emissionen umgesetzt werden muss, damit Deutschland die international vereinbarten Klimaziele einhalten kann. Bezogen auf den Braunkohleabbau konstatiert eine Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts, dass noch maximal 47 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II abgebaut werden können, damit das 1,5 Grad Ziel eingehalten werden kann. RWE und die Regierung verfolgen aktuell allerdings das Ziel, 280 Millionen Tonnen Kohle abzubauen. Die eben erwähnte Studie postuliert außerdem, dass in den aktuell genehmigten Bereichen der Tagebauten noch 300 Millionen Tonnen Kohle förderbar sind, ohne dass Lützerath abgebaggert werden muss.
Wenn das Ziel von RWE und der Regierung die Gewinnung von 280 Millionen Tonnen Braunkohle darstellt, die bisher erschlossenen Gebiete allerdings bereits 300 Millionen Tonnen Kohle einbringen, stellt sich hier die Frage, warum Lützerath überhaupt abgebaggert werden sollte. Gleichzeitig wird deutlich, dass durch das Abbaggern der sich darunter befindenden Kohle zu viel CO² emittiert wird, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Die Grenze zu diesem Abkommen verläuft symbolisch also am Ortsschild von Lützerath.
Im Januar 2023 wurde Lützerath von RWE zerstört und die sich darunter befindende Braunkohle abgebaggert.
Literatur:
Bund Landesverband Nordrhein- Westfalen (2020): Klimaschutz heißt Braunkohlenausstieg. Online verfügbar unter https://www.bund-nrw.de/themen/braunkohle/hintergruende-und-publikationen/braunkohle-und-umwelt/braunkohle-und-klima/, zuletzt geprüft am 22.12.2022.
Bund Landesverband Nordrhein- Westfalen (Hg.) (2022): Verschwindende Dörfer. Online verfügbar unter https://www.bund-nrw.de/themen/braunkohle/hintergruende-und-publikationen/verheizte-heimat/verschwindende-doerfer/, zuletzt geprüft am 22.12.2022.
Deutsche Welle (Hg.) (2022): Kohleabbau: Kampf um Lützerath. Online verfügbar unter https://www.dw.com/de/kohleabbau-kampf-um-l%C3%BCtzerath/g-63748545, zuletzt geprüft am 23.12.2022.
Rieve, Catharina; Herpich, Philipp; Brandes, Luna; Oei, Pao-Yu; Kemfert, Claudia; Hirschhausen, Christian R. von (2021): Kein Grad weiter - Anpassung der Tagebauplanung im rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Im Auftrag von Alle Dörfer bleiben (Kib e.V.). Berlin: DIW Berlin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin, 169).
Sachverständigenrat für Umweltfragen (Hg.) (2022): Wie viel CO₂ darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO₂-Budget. Online verfügbar unter:https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf;jsessionid=9A3F6F701DAF4F96BDE8005CD16F1EDB.intranet231?__blob=publicationFile&v=30, zuletzt geprüft am 22.12.2022.
Statista (Hg.) (2021): Braunkohleförderung in Deutschland in den Jahren von 1990 bis 2021(in Millionen Tonnen). Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/156258/umfrage/braunkohlefoerderung-in-deutschland-seit-1990/, zuletzt geprüft am 22.12.2022.
Umwelt Bundesamt (2020): Gemeinsame Pressemitteilung von Umweltbundesamt und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Treibhausgasemissionen gingen 2019 um 6,3 Prozent zurück. Große Minderungen im Energiesektor, Anstieg im Gebäudesektor und Verkehr. Berlin. Online verfügbar unter https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-gingen-2019-um-63-prozent, zuletzt geprüft am 22.12.2022.
World Energy Council Weltenergierat Deutschland (Hg.) (2021): Energie in Deutschland: Zahlen und Fakten. Eckdaten des deutschen Energiemarktes. Online verfügbar unter https://www.weltenergierat.de/publikationen/energie-fuer-deutschland/energie-in-deutschland-zahlen-und-fakten/?cn-reloaded=1, zuletzt geprüft am 22.12.2022.